2023 ALEXANDRA BIRCKEN X GABI DZIUBA
Rechts: Perlenkette I, Zuchtperlen mit 3 NATO Anhängern, 925 Silber
Sowohl die Geste des Verbindens als auch Trennens gehören zu Alexandra Birckens bildhauerischer Vorgehensweise, mit der sie das Verhältnis des menschlichen Körpers zu seiner Umgebung erkundet. Aus einem ähnlichen Prozess des Auslotens resultieren die Schmuckstücke in Kollaboration mit Gabi Dziuba, deren Ausgangspunkt ein zutiefst widersprüchliches Objekt bildet: Während seine Konstruktionsweise banal und seine Produktion billig ist, erfüllt der Nato-Draht seinen Zweck mit einer brutalen Effizienz. Seine Funktion ist unmissverständlich: Unerwünschtes Passieren verhindern, indem er dem Körper Schmerz zufügt. Dabei basiert die Gewalteinwirkung auf nichts weiterem als einem dünnen Blechband mit rasierscharfen Klingen, die beim Überquerungsversuch in die Haut schneiden. Ein Mechanismus, der auf der Vorstellung beruht, dass der Körper bloß als eine biologische Masse existiert; ein passiver Empfänger für Wunden und Verletzungen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Viehzüchtern in Nordamerika mit dem anfänglichen Ziel entwickelt, die Bewegung von Rindern zu kontrollieren, dehnte sich die Anwendung von Stacheldraht innerhalb weniger Jahre in den militärischen Bereich aus. Die großflächige Verbreitung von Nato-Draht wurde vor allem aufgrund einer Innovation im Herstellungsprozess befördert, der sich durch einen besonders geringen Materialverlust auszeichnet: Mit einer Stanzmaschine werden in regelmäßigen Abständen flügelförmige Stücke aus einem Stahlband herausgestanzt, das im zweiten Schritt um einen Drahtkern für zusätzliche Festigkeit gepresst wird.
Jener technischen Genauigkeit, die primitiv und raffiniert zugleich ist, widmet sich die Kollaboration von Alexandra Bircken und Gabi Dziuba, wenn sie das zählebige Werkzeug, das zahlreiche Erfindungen der Moderne überdauert hat, wie auf einem Seziertisch zerlegt, um es anschließend in ein befremdliches Ornament zu überführen, das den Körper ziert. Zu einem Armreif mehrfach gewunden, bleibt die Schärfe der Klingen jedoch nahezu unverändert. Selbst in Form eines einzelnen Anhängers, der von einem zerschlitzten Jeansband herunterhängt, setzt sich die beunruhigende Haptik fort. Entsprechend kehrt das Potential der Selbstverletzung, das den Schmuckstücken anhaftet, die gebräuchliche Idee eines Amuletts um, dem die Fähigkeit zugesprochen wird, seine Besitzer:innen vor Unglück zu bewahren. Eigentlich unvereinbare Absichten stoßen in den Schmuckstücken aufeinander, wobei sich ihre vollständige Wirkkraft erst in der Berührung mit dem tragenden Körper entfaltet.
Es ist kein Zufall, dass die Entwicklung von Stacheldraht mit der Ausweitung des Eisenbahnnetzes einherging. Beide Technologien veränderten die Nutzung von Raum in kürzester Zeit und in Abhängigkeit zueinander. Zwar schufen die Schienenwege Verbindungslinien, mussten aber bald mit Stacheldraht vor Rinderherden gesichert werden, was wiederum zu einer Teilung von Raum führte: Eine Verbindung von Osten nach Westen beispielsweise verursachte eine Trennung zwischen Norden und Süden. Demnach bedeutete jede Verbindung gleichzeitig eine Trennung.
Auch in einer vernetzten Gegenwart, die verbindende Technologien favorisiert, scheint die Verhinderung von Bewegung nach wie vor gleichermaßen Bestandteil zu sein wie ihre Ermöglichung. Ein Zustand, der sich in der paradoxen Erscheinung der Schmuckobjekte widerspiegelt.
Susanne Mierzwiak

Rechts: Perlenkette I, Zuchtperlen mit 3 NATO Anhängern, 925 Silber

Mitte: Armreif I, 925 Silber
Rechts: Armreif II, 925 Silber

Collier II, 925 Silber

Mitte: Prototyp Nato Draht, Weißblech, Messing
Rechts: Collier I, 925 Silber

Rechts: NATO I, NATO II, NATO III, Anhänger, 925 Silber

Rechts: Ohrschmuck II, 925 Silber

Stoffketten von Alexandra Bircken